Wenn eine Stadt den Titel "europäische Umwelthauptstadt" trägt, dann sagt dies noch nicht automatisch etwas über die Lebensqualität in dieser Stadt aus. Bei Kopenhagen, Titelträgerin im Jahr 2014, ist das anders: Die dänische Hauptstadt bemüht sich nicht nur um Umweltschutz und Nachhaltigkeit, sie hat auch wirklich etwas vorzuweisen.
von Dr. Gerd Rudel
Der Plan, Kopenhagen als grüne und lebenswerte Stadt bis 2025 CO2-neutral zu machen, ist ambitioniert und erfordert große Bemühungen in vielen Politikfeldern. Gute Voraussetzungen dafür sind: Kopenhagen ist eine wohlhabende, wirtschaftlich starke Stadt, die einen wichtigen Schwerpunkt in der grünen Ökonomie hat.
Grüne Mobilität
Ein für die Nachhaltigkeitsstrategie Kopenhagens zentrales Schlüsselprojekt ist die „grüne Mobilität“. Die Rahmenbedingungen dafür sind: 580.000 Einwohner, 79.000 Studierende, 350.000 Arbeitsplätze, 175.000 PendlerInnen. Trotzdem gibt es in Kopenhagen nur 177 Kraftfahrzeuge pro 1.000 Einwohner - ein im Vergleich zu deutschen Städten gleicher Größenordnung sehr geringer Prozentsatz! Seit Jahrzehnten arbeitet die Stadt konsequent daran, den öffentlichen Raum zugunsten von Radverkehr und Fußgänger*innen umzubauen. In Kopenhagen fährt jede*r Rad, zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Auf ein Privatauto kommen fünf Fahrräder. Und die Kopenhagener fahren alle, weil es schnell (50 Prozent), einfach (49 Prozent), billig (27 Prozent) und bequem ist (25 Prozent) und nicht so sehr wegen ihres besonders großen Umweltbewusstseins (nur 7 Prozent).(1)
Dafür wurde die Infrastruktur entsprechend angepasst: breite Radwege, die auch Lastenrädern (in Kopenhagen oft als Transportmittel für kleinere Kinder benutzt) bequem Platz bieten, und Überholvorgänge problemlos gestatten; selbstverständlich gegen die Einbahnrichtung befahrbare Straßen, was gerade in den engen Altstadtstraßen sehr wichtig ist, um Umwege zu vermeiden; grüne Welle für Räder an den wichtigsten Radstrecken; Radschnellverbindungen im Grünen abseits der Straßen, Rad-„Highways“ für die Pendler*innen. Von den auch architektonisch beeindruckenden Fahrradbrücken (Cykelslangen, Cirkelbroen, Inderhavnsbroen) ganz zu schweigen.
Aber auch an die Fußgänger*innen wird gedacht: ausgedehnte Fußgängerbereiche in der Innenstadt und in den Stadtvierteln, wo öffentliche Räume dem Autoverkehr entrissen und neue, einladende Plätze geschaffen wurden. Die Strategie dieser Verkehrspolitik ist klar: Wer Veränderungen im Mobilitätsverhalten erreichen will, muss entsprechende Infrastruktur-Angebote machen. Kopenhagen tut dies sehr konsequent und kann Erfolge vorweisen: Zum Beispiel im Berufs- und Ausbildungsverkehr nutzen bereits jetzt 45 Prozent das Rad, 27 Prozent den Öffentlichen Nahverkehr, 5 Prozent gehen zu Fuß und nur 13 Prozent fahren mit dem Auto.(2)
Angesichts solcher Erfolgsbilanzen ist es schon fast "beruhigend", dass es auch im Fahrrad-Paradies Kopenhagen noch Probleme gibt: noch fehlende Verbindungen in den Radverkehrsnetzen etwa. Und in Sachen Fahrradabstellplätze sind die Holländer sicher weiter als die Dänen. Und das neue Leihfahrradsystem erweist sich als zu kompliziert und hat bei weitem nicht den erhofften Erfolg.
Wohnen, arbeiten, leben...
Wie lebenswert eine Stadt letztlich ist, entscheidet sich wesentlich in den Wohnquartieren. Vesterbro war einmal eines der "Glasscherben-Viertel" Kopenhagens, geprägt von Prostitution, Drogen und Kriminalität.(3) Noch 1990 stammten 99 Prozent der Wohnungen im inneren Vesterbro von vor 1919. 70 Prozent hatten kein Bad, 64 Prozent keine Zentralheizung, der Anteil von Arbeitslosen und Sozialklienten lag weit über dem Durchschnitt der Stadt. Diese Situation und der Auszug vieler Betriebe aus dem Schlachthofbezirk führten zum Umbau des Quartiers. Die Errichtung des DGI-Kultur- und Freizeitzentrums – modern, auch architektonisch gelungen – unweit des Hauptbahnhofs und die Sanierung der aus dem Jahr 1899 stammenden historischen Viehhalle als Event-Location waren der Startschuss für einen umfassenden Wandel: Zwar gibt es vereinzelt noch fleischverarbeitende Betriebe. Daneben dominieren aber mittlerweile kulturelle Einrichtungen (die Kunstschule z. B.), Cafés und Restaurants, Designer-Büros, Möbelgeschäfte. Diese bunte Mischung hat das Gelände zu einer äußerst angesagten Gegend gemacht, die gerade bei jüngeren Leuten sehr beliebt ist. Noch wichtiger war die Sanierung(4) der völlig maroden Wohngebäude. Sie wurden modernisiert und instandgesetzt, die Innenhöfe der Blöcke entkernt, begrünt und mit Gärten und Gemeinbedarfsanlagen versehen. Dass dies mit einer Gentrifizierung und einer teilweisen Verdrängung der ärmeren Wohnbevölkerung verbunden war, lässt sich nicht leugnen, war aber wohl unvermeidbar. Dennoch: Wer je in einem dieser Innenhöfe gewesen ist, kann kaum verneinen, dass diese Sanierungsmaßnahmen sehr gelungen, ja teilweise schon als vorbildlich zu bezeichnen sind. Ohne das finanzielle Engagement der Stadt Kopenhagen und des dänischen Staates wäre dieser modellhafte Umbau jedoch kaum denkbar gewesen.
In Nørrebro, ebenfalls ein innenstadtnahes ehemaliges Arbeiterviertel, war die Stadterneuerung eigentlich gescheitert: drohende Abrisse führten zu massiven Unruhen. Das Gebiet war lange ein sozialer Brennpunkt, von häufigen Gewaltdelikten geprägt. Die Kriminalität ist nach wie vor nicht völlig verschwunden – aber: das Viertel hat sich durch verschiedene Aktivitäten, die vor allem auf meist ökologisch orientierten Start-ups beruhen, sehr verändert. Straßen, die noch vor wenigen Jahren der Schauplatz von Bandenkriegen waren (wie z. B. die Jægersborggade), sind mittlerweile komplett verwandelt. Dort finden sich nicht nur ein biodynamisch orientiertes Sterne-Restaurant, Öko-Bäckereien, Bio-Metzger, Designer-Shops, Bars und Cafés, sondern auch ein Swap-Shop, in dem man - ganz modern: mit App! - Kleidung tauschen kann. Bemerkenswert ist der große Gemeinschaftsgarten im Nørrebro-Park, den viele Freiwillige aus der Gegend bewirtschaften und der gleichzeitig ein beliebter Treffpunkt ist. Der weitläufige Assistens-Friedhof dient auch den Lebenden als Erholungsort. Nørrebro ist nach wie vor ein Mulitkulti-Stadtteil: Menschen aus aller Welt leben hier. Die Superkilen-Anlage symbolisiert dies in vielfältiger Weise. Der Park beheimatet kulturell prägnante Stadtelemente aus über 60 Ländern, wie Schaukeln aus dem Irak, Bänke aus Brasilien oder Abfallkörbe aus England.
Ørestad (5) auf der Insel Amager ist der jüngste Stadtteil der dänischen Hauptstadt und entsteht am Øresund, mit direkter Anbindung an die Brückenverbindung nach Malmö und an den Flughafen, auf einem einstigen militärischen Übungsgelände. In einigen Jahren sollen hier 20.000 Menschen wohnen, ebenso viele studieren und lernen und 60.000 arbeiten. Wichtig für die Entwicklung von Ørestad: die Hauptachse der Verkehrsinfrastruktur, die Metro-Linie, entstand vor dem Bau von Wohn- oder Geschäftshäusern. Dies führte zu einer Bodenwertsteigerung, mit deren Hilfe die Infrastrukturmaßnahmen refinanziert werden konnten. Die eigentliche Bautätigkeit, deren Grundlage der Masterplan des finnischen ARKKI-Teams ist, wurde jedoch weitgehend in die Hände privater Investoren gelegt. Denn auch Dänemark blieb vom Neoliberalismus und seinen Privatisierungsstrategien nicht verschont. Der neue Stadtteil hat zweifellos einige architektonische Highlights zu bieten, das 8-Haus zum Beispiel: ein elfgeschossiges Gebäude für 475 Wohnungen, gewerbliche Betriebe, Café und Gemeinschaftsräume, das im Grundriss eine Acht nachzeichnet. Begrünte Dächer, waghalsige Treppen, breite Rampen, die die einzelnen Wohnbereiche erschließen, sowie unterschiedlich gestaltete Innenhöfe bilden gewiss ein attraktives Ensemble. Aber: Diese architektonischen Highlights bleiben ohne Bezug zum öffentlichen Raum. Und ansonsten dominiert meist architektonische Beliebigkeit. Die optimale Kapitalverwertung steht im Vordergrund, Urbanität im öffentlichen Raum: Fehlanzeige. Überhaupt: Das „menschliche Maß“, das der Kopenhagener Architektur- und Planungs-Mastermind Jan Gehl (6) anmahnt, wird in Ørestad oft genug deutlich überschritten. Hier rächt sich ganz offensichtlich, dass die Umsetzung der Planung allein den Marktkräften überlassen wurde.(7)
HOFOR: Stadtwerke im Dienst nachhaltiger Entwicklung
HOFOR (so der Name der Kopenhagener Stadtwerke), der größte Versorgungsbetrieb Dänemarks, befindet sich zu 100 Prozent in kommunaler Hand. Die AG ist nicht gewinnorientiert, sondern soll kostendeckend arbeiten. Ihre Geschäftspolitik ist an nachhaltiger Versorgung, erneuerbaren Energien und der Unterstützung der kommunalen Entwicklung orientiert. Dementsprechend spielt HOFOR eine wesentliche Rolle auf dem Weg, Kopenhagen bis zum Jahr 2025 CO2-neutral zu machen. Die Gesellschaft hat die Reinigung des Hafenbeckens übernommen und dort für Badewasserqualität gesorgt. Und sie kümmert sich um Lösungen für die wegen des Klimawandels immer öfter auftretenden Starkregen-Ereignisse, die für eine Hafenstadt wie Kopenhagen besonders bedrohlich sind. Bei der Stromversorgung steht der Ausbau der Windenergie im Vordergrund. Da dies auf dem Stadtgebiet nur sehr bedingt möglich ist, müssen dafür Windparks in anderen Teilen Dänemarks gebaut werden. Bis 2025 will die Stadt 100 Windturbinen errichten, 20 Prozent davon sollen sich in Bürgerhand befinden. Und: 90 Prozent der Kopenhagener*innen stehen diesem Ausbau positiv gegenüber. Der Einsatz von Kohle für das weitverzweigte Wärmenetz der Stadt soll so schnell wie möglich eingestellt und durch Biomasse-Verfeuerung ersetzt werden. Da diese großteils importiert werden muss (aus den anderen skandinavischen Staaten und dem Baltikum, aber auch aus Spanien und Portugal), ist das nicht unproblematisch: der Transport ist negativ für die CO2-Bilanz. Und ob dabei immer – wie geplant – ausschließlich Holzreste aus nachhaltiger Forstwirtschaft zum Einsatz kommen, darf bezweifelt werden. Hinter diese Strategie muss deshalb doch ein deutliches Fragezeichen gesetzt werden.
Ein kurzes Fazit: Kopenhagen ist in vielerlei Hinsicht ein gutes Beispiel für eine konsequent an Nachhaltigkeit ausgerichtete Stadtpolitik. Dazu trägt nicht nur eine über Jahrzehnte stabile Mehrheit im Stadtrat (derzeit bestehend aus Sozialdemokraten, der linken Einheitsliste und der grünen Sozialistischen Volkspartei) bei, die diesen Weg verfolgt, sondern auch die kompetente Stadtverwaltung und kommunale Gesellschaften wie die Stadtwerke. Und nicht zu vergessen: Trotz der auch in Dänemark in den vergangenen Jahren nach deutschem Vorbild verstärkten Sparpolitik gibt es hier immer noch eine starke sozialstaatliche Tradition, die auch auf kommunaler Ebene wirksam ist und eine an Nachhaltigkeitszielen orientierte Politik erleichtert.(8)
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Anmerkungen
*) Dieser Text ist die leicht überarbeitete, ergänzte und aktualisierte Fassung eines Artikels, der erstmals in der AKP 6/2015, S. 52-54 erschienen ist. Er basiert u.a. auf einer Bildungsreise der Petra-Kelly-Stiftung im Jahr 2015.
(1) Copenhagen – City of Cyclists. The Bicycle Account 2014, S. 11
(2) ebd., S. 4
(3) Einen authentischen Eindruck vom "originalen" Vesterbro vermitteln die Krimis von Dan Turell, z.B. „Mord i mørket“, Kopenhagen 1981.
(4) Vgl. Thomas Franke/Wolf-Christian Strauss: Management gebietsbezogener integrativer Stadtteilentwicklung. Ansätze in Kopenhagen und Wien im Vergleich zur Programmumsetzung „Soziale Stadt“ in deutschen Städten. Berlin 2005. Kritisch: Peter Birke/Chris Holmsted Larsen (Hg.): BESETZE DEINE STADT! – BZ DIN BY! Häuserkämpfe und Stadtentwicklung in Kopenhagen. Berlin/Hamburg 2007
(5) Vgl. Copenhagen Growing. The Story of Ørestad. CPH City & Port, Kopenhagen 2011
(6) Vgl. Jan Gehl: Städte für Menschen. Berlin 2015
(7) Kritisch: Lea Olsson/Jan Loerakker: The Story Behind Failure: Copenhagen’s Business District Ørestad. 12 September 2013
(8) Vgl. ausführlich das Dossier des Deutschlandfunks, das die neoliberale Politik in Dänemark und auch die Gentrifizierungstendenzen in Kopenhagen selbst kritisch beleuchtet. Jane Tversted und Martin Zähringer: Sozial oder grün - Kopenhagen als grüne Metropole. Deutschlandfunk, 16.12.2016. Unter dem angegebenen Link kann die Sendung angehört werden. Außerdem gibt es einen Link zum Manuskript.