Ehe über die konkrete Gestaltung dessen gesprochen werden kann, was unter einem „guten“ Leben zu verstehen ist, müssen erst einmal die Grundbedürfnisse menschlichen Lebens befriedigt werden: ausreichende und gesunde Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Hilfe im Krankheitsfall, Zugang zu Bildungsmöglichkeiten – um nur das Wichtigste zu nennen. All das kostet, jedenfalls in unserer Gesellschaft, Geld.
von Dr. Gerd Rudel
Ehe über die konkrete Gestaltung dessen gesprochen werden kann, was unter einem „guten“ Leben zu verstehen ist, müssen erst einmal die Grundbedürfnisse menschlichen Lebens befriedigt werden: ausreichende und gesunde Nahrung, ein Dach über dem Kopf, Hilfe im Krankheitsfall, Zugang zu Bildungsmöglichkeiten – um nur das Wichtigste zu nennen. All das kostet, jedenfalls in unserer Gesellschaft, Geld. Um diese Grundbedürfnisse finanziell für alle abzusichern, ist verstärkt wieder das – bedingungslose – Grundeinkommen (BGE) in der politischen Diskussion virulent. Doch so naheliegend diese Idee zu sein scheint, so umstritten ist sie.
Was diese Diskussion so schwierig macht: Die Idee des bedingungslosen und universellen Grundeinkommens hat mittlerweile Befürworter in allen politischen Lagern. Ohne hier auf einzelne Modelle und deren Finanzierung eingehen zu können (1), lassen sich zwei grundsätzlich verschiedene Ansätze mit dementsprechend divergierenden Zielsetzungen unterscheiden. Die Zustimmung zum BGE aus höchst unterschiedlichen politischen Lagern sollte also nicht für einen echten Konsens gehalten werden. Eher im Gegenteil.
Auf der einen Seite (und dies ist die eher neoliberale!) stehen jene Befürworter des BGE, die sich von dessen Einführung eine „Reform“ sozialstaatlicher Transferleistungen versprechen. Ein BGE in der Nähe des Sozialhilfesatzes soll als Existenzminimum alle anderen staatlichen Grundsicherungsleistungen ersetzen. Im Grunde ist dieses BGE eine „negative Einkommensteuer“, das ab einer bestimmten Höhe des eigenen Einkommens zunehmend wegversteuert wird. Der je nach Höhe des BGE unterschiedliche (eventuell!) zusätzliche Finanzbedarf wird in dieser Variante zumeist über eine höhere Mehrwertsteuer gedeckt. Prominentester Vertreter eines solchen BGE ist der DM-Gründer Götz Werner(2). Aber auch neoliberale Ökonomen wie Thomas Straubhaar (3) haben sich sehr deutlich in dieser Richtung exponiert. Klares Ziel eines solchen Grundeinkommensmodells ist der vollständige Ersatz des Wohlfahrtsstaats durch ein „unbürokratisches“ System, das die korrekturbedürftigen Verteilungsergebnisse der „freien“ Marktwirtschaft „erträglich“ machen soll.
Auf der anderen Seite stehen eher linksorientierte Ansätze (4), denen es im Kern um zwei Ziele geht: Das BGE soll eine wirkliche Absicherung gegen Armut leisten und die Teilhabe aller am gesellschaftlichen Leben gewährleisten. Das heißt aber auch: Es muss, wenn es diese Ziele tatsächlich erreichen soll, deutlich höher ausfallen als die bisherigen Sozialleistungen. Da die kapitalismuskritischen Befürworter des BGE eine Finanzierung der zusätzlich notwendigen Mittel über die Konsumsteuern ablehnen (denn das würde genau die am stärksten belasten, denen mit dem BGE ja eigentlich geholfen werden soll: die einkommensschwachen Gruppen), ist das BGE aus dieser Perspektive auch ein Instrument der Umverteilung des gesellschaftlich erarbeiteten Reichtums (5).
Ein Grundeinkommen würde zweifellos in die Arbeits- und Lebenswelt eingreifen, indem es tiefsitzende Werteorientierungen zur Funktion der Arbeit in Frage stellt. Wohl nicht zuletzt deshalb gibt es auch und gerade von linker und gewerkschaftlicher Seite ablehnende Stimmen zum BGE. Man sieht die Arbeit (und gemeint ist damit immer die Erwerbsarbeit, die Lohnarbeit) „entwertet“, das „Recht auf Arbeit“, für das die Arbeiterbewegung immer gekämpft habe, werde preisgegeben. (6) Gerade diejenigen, die sich eigentlich gegen die „Lohnsklaverei“ (Marx) wenden müssten, machen sich so paradoxerweise zu ihrem Verteidiger.(7)
Auch aus feministischer Perspektive gab und gibt es Kritik am BGE: Es bestehe die Gefahr eines Rückfalls in patriarchale Verhaltensmuster, in denen die Erwerbsarbeit zunehmend wieder den Männern vorbehalten bleibe, während die Frauen auf die – unentgeltliche – Care-Arbeit beschränkt würden. Inzwischen überwiegen aber auch in der feministischen Perspektive jene Stimmen, die im Grundeinkommen primär die für ein gutes Leben notwendige Garantie einer ausreichenden Absicherung der Existenz und die Ermöglichung der gesellschaftlichen Teilhabe sehen – wenn denn feministische und post-patriarchale Perspektiven mitgedacht werden. (8)
Jenseits aller Modelldiskussionen sollte die utopisch-emanzipatorische Dimension eines bedingungslosen Grundeinkommens bedacht werden: Das BGE stellt auch die Befreiung vom Arbeitszwang dar, vom Zwang die eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Damit ist nicht unbedingt ein „Recht auf Faulheit“ (Paul Lafargue) gemeint, sondern eher die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung ohne Erwerbsarbeit. Denn wenn Möglichkeiten der Existenzsicherung außerhalb des Arbeitsmarktes geschaffen werden, wenn die Lohnarbeit nicht mehr das einzige Mittel ist, um den eigenen Lebensunterhalt zu sichern, dann wird auch ein Raum geschaffen, sich um das „gute Leben“ zu kümmern. Ohne Sorge für das Überleben können Eigenarbeit (sei es im Urban-Gardening-Kollektiv oder in der gemeinschaftlichen Reparatur-Werkstätte – um nur zwei Beispiele zu nennen), Care-Arbeit, Beziehungspflege in den Fokus selbstbestimmten Lebens gestellt werden.
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Anmerkungen
(1) Wie lang die Tradition dieser Diskussion mittlerweile schon ist, zeigt diese frühe, aber immer noch nützliche Übersicht zum Thema: Michael Opielka / Georg Vobruba (Hrsg.): Das garantierte Grundeinkommen. Entwicklung und Perspektiven einer Forderung. Frankfurt/Main 1986
(2) Vgl. Götz W. Werner: Einkommen für alle. Köln 2014
(3) Vgl. Thomas Straubhaar: Radikal gerecht. Wie das bedingungslose Grundeinkommen den Sozialstaat revolutioniert. Hamburg 2017
(4) Einen guten Überblick über die verschiedenen Ansätze in diesem Spektrum gibt die Website www.grundeinkommen.de
(5) Dass es dafür in Deutschland genügend Spielraum gibt, zeigt ein kurzer Blick auf die Körperschaftssteuer: Diese betrug unter der Kanzlerschaft Kohls noch 56 %. Heute liegt der Steuersatz bei 15 %, also auf dem Niveau von Litauen. Ähnliches gilt für die Einkommensteuer. Auch eine Maschinen- und Robotersteuer, wie jetzt selbst von Bill Gates ins Gespräch gebracht wurde, kommt für die Finanzierung verstärkt in Betracht.
(6) Vgl. vor allem seit Jahren entsprechende Interventionen von Christoph Butterwegge. Z.B.: Christoph Butterwegge: Armut in einem reichen Land. Wie das Problem verharmlost und verdrängt wird.Frankfurt/Main, 3. Auflage 2012, S. 283-295
(7) In Analogie zur Bewertung, die Marx für die Durchsetzung des 10-Stunden-Tags getroffen hatte, könnte man auch das BGE einen „Sieg der politischen Ökonomie der Arbeit“ nennen. Vgl. Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, MEW 16, S. 5-14
(8) Vgl. exemplarisch für diese Tendenz, Grundeinkommen und feministisch orientierte Care-Ökonomie zusammenzudenken: Ronald Blaschke / Ina Praetorius / Antje Schrupp (Hrsg.): Das Bedingungslose Grundeinkommen. Feministische und postpatriarchale Perspektiven. Sulzbach/Taunus 2017