Über den sogenannten "Veggie-Day" (gemeint war damit ein Tag, an dem in öffentlichen Kantinen auf freiwilliger Basis nur fleischlose Kost angeboten werden sollte) entbrannte während des Bundestagswahlkampfs im Jahr 2013 ein erbitterter Streit: Man könne den Menschen doch nicht vorschreiben, was sie essen sollten und was nicht, meinten die Kritiker. Und hatten dafür auch das passende Etikett parat: "Verbotspartei"!
von Dr. Gerd Rudel
Und in der Tat lassen sich am Beispiel der Veggie-Day-Debatte zentrale Fragestellungen aufzeigen, die auch für unser Thema relevant sind: Wie sieht der Lebensstil aus, der ein "gutes Leben" gewährleistet? Denn Lebensstil, das ist eine ganz individuelle Sache, in die sich niemand gern reinreden lässt. Was ein "gutes Leben" ist, das bestimme doch immer noch ich selbst. Und was auf meinen Teller kommt, was ich essen will, was mir schmeckt, ist ein wesentlicher Bestandteil dieser individuellen Lebensstil-Entscheidungen. Und da haben Staat und Politik erst einmal gar nichts zu suchen.
Auf der anderen Seite lässt sich nicht leugnen, dass der gegenwärtige Fleischkonsum verantwortlich ist für viele Umweltbelastungen. Essen ist nicht nur lebensnotwendig, sondern besitzt auch eine politische und ethische Dimension. Das Schnitzel oder Steak auf unserem Teller hat sehr direkt etwas zu tun mit der Abholzung des Regenwalds in Brasilien. Die Massentierhaltung, die Voraussetzung für massenhaften und gleichzeitig billigen Fleischverzehr ist, hat nicht nur Auswirkungen auf die Lebensbedingungen der Tiere und die Qualität des Fleisches, sondern auch auf Hunger, Armut und Umwelt in der gesamten Welt.
Diese Zusammenhänge sind in den verschiedenen Versionen des von der Heinrich-Böll-Stiftung und BUND gemeinsam herausgegebenen "Fleischatlas" sehr anschaulich und verständlich analysiert und dargestellt worden. Die enorme Aufmerksamkeit, die diesen Publikationen in Deutschland zuteil geworden ist, zeigt: Es gibt mittlerweile eine große Sensibilität für dieses Thema. Die Zunahme der vegetarisch oder vegan lebenden Menschen ist dafür nur ein Indikator.
Ist also alles ganz einfach: Wenn genügend Menschen ihr individuelles Essverhalten ändern, dann ist mit Massentierhaltung und Umweltschäden, die durch die Fleischproduktion angerichtet werden, bald Schluss. Entsprechende Nachfrage-Änderungen und der Markt werden es schon richten. Und der Staat kann sich, bitteschön, weiter aus den individuellen Ernährungsgewohnheiten heraushalten.
Natürlich will und wird niemand vorschreiben, ob oder wann ein Stück Fleisch auf dem Teller liegt. Aber der Staat kann die Verantwortung für die Lebensmittel, die im Supermarkt und anderswo hinter der Ladentheke angeboten werden, nicht gänzlich auf die Verbraucher*innen abschieben: Die Rahmenbedingungen der Lebensmittelproduktion dürfen und müssen von der Politik gestaltet werden. Das war in der Vergangenheit ganz selbstverständlich auch schon immer der Fall (siehe dazu nur unsere obige Grafik. Quelle: Fleischatlas 2014, S. 15 / CC-BY-SA Heinrich-Böll-Stiftung, BUND, Le Monde Diplomatique). Denn Milchseen und Fleischberge wären ohne staatliche Eingriffe und die Subventionspolitik der EU gar nicht erst entstanden. Handlungsmöglichkeiten gibt es viele: Verbot der Massentierhaltung, strenge Kennzeichnungspflichten, Verbot gentechnisch veränderter Futtermittel, Streichung von Subventionen z.B. für Fleischexporte in die "Dritte Welt". Und natürlich: verstärkte Anstrengungen, was die Informationen über artgerechte Tierhaltung und gesunde Lebensmittel angeht. Damit die Verbraucher*innen ihre Entscheidungen über ihren ganz individuellen Lebensstil guten Gewissens treffen können...