Beton und Asphalt, grau und monoton – so sahen – zumindest jenseits vereinzelter "Grünanlagen" – viele Städte aus. Das ändert sich seit Jahren zunehmend: Die Natur kehrt in die Stadt zurück. Und neuerdings auch der Anbau von Lebensmitteln.
von Dr. Gerd Rudel
Dass mehr Grün in der Stadt mehr Lebensqualität bedeutet, ist mittlerweile unumstritten.(1) Grüne Oasen werten den urbanen Ballungsraum Stadt auf, sie sind Lebensraum für Pflanzen und Tiere und gewährleisten so eine größere Biodiversität. Vegetation und Boden wirken als Schadstofffilter, verbessern die Luftqualität und sorgen gerade in immer heißeren Sommern für einen Temperaturausgleich. Begrünte Fassaden wirken sich positiv auf die Energieeffizienz aus. Bäume und Sträucher halten Verkehrs- und Baulärm ab. Und nicht zuletzt: Stadtgrün gibt den Menschen mehr Raum zum Wohlfühlen, lädt Erholungssuchende zum Verweilen ein.(2)
Die Möglichkeiten, in den Kommunen urbanes Grün zu schaffen, sind vielfältig: Von Stadtbäumen und Gebäudebegrünung über Straßenbegleitgrün bis hin zu Stadtparks und Stadtwildnis - Grün kann fast überall und fast immer realisiert werden, wenn auch in Städten oft unter erschwerten Bedingungen (Schadstoffbelastung, besonders Stadtklima, eingeschränkte Lebensräume).(3)
Diese erschwerten Bedingungen ergeben sich vor allem aus der in Städten immer existierenden Konkurrenz unterschiedlicher Nutzungen (v.a.: Verkehr, Wohnen) – gerade in dicht bebauten und/oder benachteiligten Stadtquartieren. Doch auch dort ist es möglich, eine "Re-Ökologisierung" systematisch voranzutreiben. Mehr Grün in der Stadt steht also keineswegs in einem unvereinbaren Gegensatz zur kompakten europäischen Stadt oder zur stadtplanerischen Strategie der Innenentwicklung. Zu achten ist dabei auf die Vernetzung von kleinteiligen, wohnortnahen Grünräumen, Parks und Plätzen ebenso wie auf die Systematisierung von Haus-, Dach- und Hinterhofbegrünung. Und auf ehemaligen Gewerbe- oder Militärflächen können sogar neue Grünräume gestaltet werden.(4)
Die "essbare" Stadt
Was zwischenzeitlich fast in Vergessenheit geraten war oder in Kleingartenanlagen verdrängt wurde, hat eigentlich eine lange Tradition: Die Stadtbewohner versuchten schon immer, Gärten in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnstätte anzulegen und zu pflegen. In jüngster Zeit wird daraus aber ein echter Trend: in Baulücken und auf Brachflächen, am Rande von Grünanlagen, auf Flachdächern von Wohnhäusern, Supermärkten oder Parkgaragen werden Beete angelegt, um inmitten der Stadt Obst und Gemüse oder auch Zierpflanzen anzubauen. Andernach, Kleinstadt am Rhein, geht sogar so weit, sich selbst zur "essbaren Stadt" zu erklären.
In aller Regel geht die Initiative für das urbane Gärtnern aber nicht von den Kommunen selbst, sondern von den Bürgerinnen und Bürgern aus, die sich für die Verwandlung urbaner Orte in Gemeinschaftsgärten engagieren. Wenn gemeinschaftlich gepflanzt, gepflegt, geerntet wird, dann geht es natürlich in erster Linie darum, Obst und Gemüse für den eigenen Verzehr anzubauen. Aber Gemeinschaftsgärten haben über diesen unmittelbaren Zweck hinaus wichtige Funktionen – für das jeweilige Stadtquartier und die Stadt insgesamt. Solche Gärten sind gleichermaßen Orte des Engagements und der Begegnung und tragen somit zu Inklusion und Teilhabe bei – ein Faktor, der gerade in sozial benachteiligten Quartieren nicht zu unterschätzen sein dürfte. Gemeinsames Arbeiten ist immer auch gemeinsames Lernen. Und das Teilen im Garten befördert die solidarische Gemeinschaft im sonstigen Alltagsleben. Für die Kommune als Ganzes ist der verantwortungsvolle Umgang mit Ressourcen besonders wichtig. Und auch für das Stadtklima – im übertragenen wie im eigentlichen Sinne des Wortes - dürfte Relevanz urbaner Gemeinschaftsgärten beträchtlich sein.
Insofern ist diese neue Bewegung des gemeinschaftlichen Gartenbaus auch für das „gute Leben“ in der Stadt von besonderer Bedeutung. Sie ist soziales Experimentierfeld und Plattform für ganz unterschiedliche Wünsche. Diese Bewegung ist jung, bunt und heterogen. Sie bietet ebenso die Möglichkeit wie auch die Notwendigkeit eines produktiven Austausches von Erfahrungen, Wissen und Kenntnissen. Wo sonst in der Stadt wäre es möglich, dass Mittelschicht-Kinder mit akademischem Hintergrund Seite an Seite mit Migrant*innen, Hartz-IV-Empfänger*innen und Künstler*innen an einem gemeinsamen Projekt arbeiten? (5)
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Anmerkungen
(1) Siehe z.B.: Cities Alive: Green Building Envelope. ARUP, Berlin 2016
(2) Vgl. z.B. Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund und Deutsche Umwelthilfe (Hrsg.): Naturschutz und Lebensqualität in Städten und Gemeinden. Gute Beispiele aus dem Wettbewerb „GRÜN in der Stadt“. Burgwedel 2008
(3) Vgl. Doris Gstach: Qualitäten des urbanen Grüns. Vortrag im Rahmen der Tagung „Bewegen, verweilen, bestaunen: die Qualität des öffentlichen Raums“, Nürnberg, 16.06.2016
(4) Vgl. Carola Scholz: Urbanes Grün. In: Kommunalwiki
(5) Vgl. Christa Müller: Die grüne Guerilla – Über eine politische Avantgarde. eNewsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 16/2012 vom 31.08.2012
Literaturhinweise und Links
Kerstin Bläser / Rainer Danielzyk / Runrid Fox-Kämper / Linda Funke / Myriam Rawak / Martin Sondermann: Urbanes Grün in der integrierten Stadtentwicklung. Strategien, Projekte, Instrumente. Düsseldorf 2012
Stephanie Bock / Ajo Hinzen / Jens Libbe / Thomas Preuß / André Simon / Daniel Zwicker-Schwarm: Urbanes Landmanagement in Stadt und Region. Urbane Landwirtschaft, urbanes Gärtners und Agrobusiness. Difu-Impulse 2/2013. Berlin 2013
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR) (Hrsg.): Gemeinschaftsgärten im Quartier. BBSR-Online-Publikation 12/2015, Bonn, Oktober 2015
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) (Hrsg.): Gemeinschaftsgärten im Quartier. Handlungsleitfaden für Kommunen. Berlin, Juli 2015
Christa Müller (Hrsg.): Urban Gardening. Über die Rückkehr der Gärten in die Stadt, München 2011
Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt. Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt, München 2012
Stiftung DIE GRÜNE STADT (Hrsg): Urbanes Grün. Für ein besseres Leben in Städten. Gelder o.J.