Barcelona: ein touristischer Magnet ohnegleichen. Und: Barcelona, die Hauptstadt Kataloniens und damit des katalanischen „Aufstands“ gegen die Zentralregierung Spaniens in Madrid. Das sind wohl die ersten Assoziationen, wenn heute von Barcelona die Rede ist. Weniger bekannt dagegen ist, dass in Barcelona seit drei Jahren ein politisches Experiment im Gange ist, das europaweit seinesgleichen sucht.
von Dr. Gerd Rudel
Eine Stadt im Wandel (1)
Politische Wende?
Seit Mai 2015 nämlich ist Ada Colau Bürgermeisterin der Stadt. Sie ist eine führende Aktivistin der Plataforma de Afectados por la Hipoteca (PAH), der Bewegung gegen Zwangsräumungen von Wohnungen, deren Hypotheken nicht bedient werden konnten, und eine ehemalige Hausbesetzerin. Und ihre links-ökologische Liste Barcelona En Comú (BeC) wurde mit 25,2% auf Anhieb stärkste Partei im Stadtrat. (2) Dennoch: Von einer tatsächlichen Mehrheit ist sie weit entfernt. Im 41-köpfigen Stadtrat (3) verfügen sie nämlich lediglich über 11 Sitze, sind also immer auf die Stimmen anderer Parteien und Gruppierungen angewiesen. Und das ist ziemlich schwierig. Selbst wenn man die ganz links stehende, antikapitalistische CUP (3 Sitze) und die traditionellen Sozialdemokraten (PSC) mit vier Sitzen dazu rechnen würde, käme man noch nicht auf eine absolute Mehrheit. Außerdem im Stadtparlament vertreten sind: die spanischen Rechtsparteien Ciudadanos und PP, die katalanischen Liberalen von der CDC sowie die katalanisch-linksrepublikanische ERC. Das alltägliche Regierungsgeschäft ist also äußerst mühsam und durch die ständige Suche nach Mehrheiten gekennzeichnet. Zudem darf der Einfluss und das Beharrungsvermögen des Verwaltungsapparates nicht unterschätzt werden. Reformansätze können durch den bürokratischen Apparat verschleppt werden – zumal die Politik-Neulinge von BeC mit den Mechanismen und Instrumenten der institutionellen Kommunalpolitik meist noch wenig vertraut sind. Und nicht zu vergessen: In vielen Fällen ist die Reichweite städtischer Politik zu gering, weil – zum Beispiel in der Wohnungspolitik – die ausschlaggebenden Gesetze in Madrid gemacht werden.
Neuer Politik-Ansatz: Bürgerplattform (4)
Im Unterschied zur linkspopulistischen Podemos, die einem eher traditionellen Politikstil mit Medienwahlkampf und starken Führungspersonen vertraut, propagieren „munizipalistische“ kommunale Listen wie die BeC eine Politik, die über die lokale Verankerung in Stadtteilen und Gemeinden wachsen soll und der basisdemokratische Prinzipien wichtig sind. Dementsprechend handelt es sich beim BeC um ein relativ lockeres Bündnis von engagierten Bürger*innen, Aktivist*innen aus der Zivilgesellschaft und sozialen Bewegungen sowie von Mitgliedern aus Parteien, die diesen basisdemokratischen Ansatz unterstützen (so zum Beispiel die Iniciativa per Catalunya Verds (ICV), die katalanischen Grünen). (5) Insofern stellen BeC wie auch die vergleichbaren Listen in Valencia oder Madrid ein „fruchtbares Experimentierfeld für neue Formen von den Bürger*innen vorangetriebener Politik“(6) dar. Im Zentrum steht dabei das Anliegen umfassender Partizipation: „Versammlungen und digitale Partizipationsinstrumente kommen zum Einsatz, um über alles von der politischen Agenda bis hin zur Organisationsstruktur zu entscheiden.“(7) So wurde auch das Programm von BeC in dutzenden Nachbarschaftsversammlungen erarbeitet. Diese Verankerung in den sozialen Bewegungen ist die Stärke der Liste. Auch heute noch gibt es diese Versammlungen auf Bezirksebene, an denen auch die Bürgermeisterin im vierzehntägigen Rhythmus immer noch teilnimmt. (8) Und die sozialen Bewegungen sind weiterhin aktiv, sie haben sich nicht zur Ruhe gesetzt und überlassen alles der neuen Stadtregierung. Und umgekehrt setzt auch die Stadtspitze nach wie vor auf die Initiativen vor Ort. Denn sie braucht deren Unterstützung - zum Beispiel in den Verhandlungen über neue Regelungen für den Tourismus.
Transparenz der Politik und Partizipation werden also groß geschrieben. So können jetzt die Bürger*innen leichter Bürgerentscheide auf Stadt- und Bezirksebene herbeiführen. Auch bei Verkehrsprojekten wie der Umgestaltung des öffentlichen Raums gibt es breit angelegte Beteiligungsverfahren. Bei diesem „Munizipalismus der Straße“ (wie es der Stellvertreter Colaus, der Verfassungsrechtler Gerardo Pisarello nennt) geht es um den Aufbau basisdemokratischer Bewegungen aus den Stadtteilen heraus. (9) Auch im Kampf gegen die bislang allgegenwärtige Korruption konnten Erfolge verzeichnet werden. So gibt es mittlerweile einen Moralkodex für die Mitarbeiter*innen der Stadtverwaltung.
Das Tourismus-Problem
Die durch Billigflieger und Kreuzfahrttourismus immens angestiegene Zahl von Besucher*innen hat Barcelona mittlerweile zu einem der beliebtesten Reiseziele in Europa werden lassen. Die Stadt steht inzwischen auf dem vierten Platz nach Paris, London und Rom, ist allerdings bei weitem nicht so groß wie diese. Das hat spürbare Folgen: Die Einheimischen wurden nicht nur von den Rambles, der Promenier-Meile zwischen der Plaça de Catalunya und dem Hafen, verdrängt. Die Infrastruktur mit Restaurants, Bars und Shops in der Altstadt, dem Barri Gotic, hat sich fast komplett auf den Tourismus eingestellt. Und die Mietpreise sind in den vergangenen drei Jahren in Barcelona um 33 Prozent gestiegen. (10)
Insbesondere die rapide gestiegene Zahl von Appartements, die in Vierteln wie der Ciutat Vella und der Barceloneta am Strand nur noch an Touristen vermietet werden, haben die Mieten explodieren lassen. Das ist auch in Vierteln wie Gracia (das bislang eher von Studierenden, Künstlern und kleinen Läden geprägt ist) und El Ravall (ein Multi-Kulti-Viertel in unmittelbarer Nähe zum Barri Gotic) zu spüren. Sogar das ehemalige Baracken-Viertel Carmel ist schon ins Blickfeld der Immobilienspekulanten gerückt.
Der Kampf gegen die illegale gewerbliche Vermietung von Wohnraum an Touristen war deshalb einer der wesentlichen Punkte im Wahlprogramm Ada Colaus. Sie bildete im Rathaus ein 20-köpfiges Team (das mittlerweile auf 40 Personen angewachsen ist!), das Reiseportale wie Airbnb überprüfte und im Rahmen von Ortsbegehungen Hinweisen auf illegale Vermietungen nachging. Außerdem wurde eine Website ins Netz gestellt, auf der Touristen selbst sehen können, ob sie in einer den Behörden gemeldeten Unterkunft abgestiegen sind oder nicht. Bei Verstößen wurden empfindliche Geldbußen in Höhe von bis zu 30.000 Euro pro Vermieter verhängt. Auch Airbnb musste 600.000 € Strafe für Verstöße gegen Vorschriften der Stadt zahlen. Am 1. Juni 2018 ist schließlich eine Vereinbarung mit Airbnb in Kraft getreten, derzufolge sich die Vermietungsplattform bereiterklärt, für jede Vermietung in Barcelona die entsprechende Lizenz bzw. einen eventuellen Ausnahmetatbestand zu veröffentlichen und die entsprechenden Daten der Stadtverwaltung zur Kontrolle weiterzuleiten. Ein entsprechendes Kontrollsystem der Verwaltung ist bereits eingerichtet worden. Um der überbordenden Tourismus-Scharen wenigstens einigermaßen Herr zu werden, hat Barcelona außerdem ein Moratorium für Hotelzimmer und Ferienwohnungen beschlossen. Über dieses Betten-Limit hinaus werden – zumindest in den innerstädtischen Vierteln – keinerlei Zubauten mehr genehmigt. Um den Besucherstrom etwas gleichmäßiger zu verteilen, dürfen nur noch an der Peripherie neue Tourismus-Kapazitäten errichtet werden.
Dauerthema Wohnungspolitik
Auch in der Wohnungspolitik hat sich die neue Stadtregierung viel vorgenommen. Neben der durch den Tourismus-Boom verursachten bzw. verschärften Wohnungsknappheit gilt es hier zunächst, die Fehlentwicklungen und Fehlplanungen der neoliberal orientierten Vorgängerregierungen zu korrigieren, die die Stadtplanung vornehmlich in private Hände übergab. So etwa Ende der neunziger Jahre einer amerikanischen Immobiliengesellschaft, die große Teile des Neubauviertels Diagonal Mar nach Gutdünken gestalten durfte. Investorenwünsche dominierten, auch bei der Zulassung immer neuer Hotelkapazitäten, was sich negativ auf die gewachsenen Stadtviertel in der Umgebung auswirkte. Die Stadt ist außerdem zu einem attraktiven Ziel für Investitionen im Immobiliensektor geworden. Das zeigt sich vor allem an den ungefähr 80.000 leerstehenden Wohnungen, die sich im Besitz von privaten Eigentümern, Immobilienfirmen oder Bankgesellschaften befinden und treffliche Spekulationsobjekte darstellen. Sie fehlen natürlich auf dem Wohnungsmarkt und den zahlreichen Wohnungssuchenden, die nach einer bezahlbaren Bleibe Ausschau halten. Ziel der neuen Stadtregierung ist es laut Wohnungsdezernent Josep María Montaner, „die Anzahl der Sozialwohnungen von 30 auf 50 Prozent zu erhöhen; zu einer Neubewertung von Grund und Boden beizutragen; die Renovierung der Bestandsgebäude voranzubringen; neue Formen des Eigentums zu begünstigen, jenseits von Grunderwerb und Miete, bis hin zu kooperativen Modellen.“ (11)
Was immer noch zu großen Konflikten führt, sind die Zwangsräumungen, die auch Ada Colau nicht stoppen konnte. Dies liegt an den entsprechenden Gesetzen, die nach wie vor in Madrid erlassen werden und an denen eine Kommune nichts ändern kann. Die Stadtverwaltung kann allenfalls Nothilfe leisten und den Zwangsgeräumten möglichst schnell eine Alternative anbieten. Langfristig sollen im Laufe der nächsten Jahre mehr als 18.500 neue Sozialwohnungen entstehen.
Die Sozialpolitik ist ebenfalls ein Schwerpunkt der neuen BeC-Stadtverwaltung (12). Es wurde ein Sonderhaushalt von mehr als 100 Millionen Euro zur Armutsbekämpfung verabschiedet. Es werden dreimal so viele kostenlose Essen für Kinder ausgegeben. Auch die Kinderbetreuung wurde verbessert, neue Stellen für Lehrer*innen geschaffen. Schwer tut sich die neue Stadtregierung damit, die Privatisierungen der vergangenen Jahre rückgängig zu machen oder wenigstens deren Folgen zu mildern. Die Wasser- und Energieversorgung soll wieder in öffentliche Hände kommen, auch das Bestattungswesen. Die Altenpflege wurde von einer Vorgängerregierung Zeit an einen Konzern vergeben. Hier bemüht sich die En Comú-Führung, wenigstens bei den Löhnen für die Beschäftigten Nachbesserungen zu erreichen. Es gibt außerdem ein Programm zur Förderung von Genossenschaften und Kooperativen im Bereich der solidarischen Wirtschaft, die künftig auch bei der Vergabe von städtischen Aufträgen stärker berücksichtigt werden sollen. Der Wandel in Barcelona vollzieht sich also nicht nur auf politischer Ebene, sondern auch auf dem Feld der Ökonomie: Mittlerweile gibt es eine Vielzahl von Initiativen und Kooperativen, die sich der solidarischen Ökonomie verschrieben haben. In der Xarxa d’Economia Solidària (XES) haben sich rund 300 solcher Gesellschaften zu einem Netzwerk zusammengeschlossen, um diesen Wandel auf breiter Front voranzutreiben.
Weg von der autogerechten Stadt? (13)
Auch in Barcelona gibt es immer noch viel zu viel Autoverkehr, vor allem auf den breiten, mehrspurigen Straßen ist der motorisierte Individualverkehr sehr, sehr stark. Hier gibt es ganz offensichtlich großen Handlungsbedarf: Vor allem müssten in den mehrspurigen Straßen Umwidmungen zugunsten von Bus- und Tram-Spuren und Radwegen stattfinden. Wie solche breite Straßen aussehen können, zeigt Barcelona ja selbst mit den Ramblas, die es nicht nur in Form der berühmten Touristenmeile gibt, sondern eigentlich in allen Stadtteilen: breite Flanierwege für die Fußgänger*innen, gesäumt von Baumreihen, dann jeweils eine oder maximal zwei Fahrbahnen pro Richtung.
Der Modal Split im innerstädtischen Verkehr sieht für eine Millionenstadt dennoch ziemlich ungewöhnlich aus: MIV: 17,3% | ÖPNV: 33,3% | Rad: 3,0% | Fuß: 45,4%
Auffällig ist nicht nur der relativ geringe Anteil des MIV, sondern auch und vor allem der hohe Anteil der Fußwege. Wer in Barcelona schon einmal unterwegs war, den wundert dies allerdings nicht. Die engen Gassen in den Altstadt-Bezirken, aber auch in Vierteln wie Gracia sind prädestiniert für Fußgängerzonen oder Shared Spaces. Ob es den Begriff „Shared Space“ in Spanien im Straßenverkehrsrecht gibt, weiß ich nicht. Faktisch sind jedoch viele Straßen so eingerichtet, dass sie von allen Verkehrsarten gleichberechtigt genutzt werden, mit eindeutiger Priorität für die Fußgänger*innen. Und das funktioniert ausgesprochen gut. Die – wenigen – Autofahrer, aber auch die – deutlich zahlreicheren – Motorroller und -räder verhalten sich in aller Regel rücksichtsvoll, Konflikte gibt es ganz selten.
Autofahren wird glücklicherweise auch nicht (mehr) gefördert und attraktiv gemacht. Die zahlreichen Einbahnstraßen, mit denen die interne Erschließung der Stadtviertel gewährleistet wird, verführen nicht zum Griff zum Zündschlüssel. Auch Parkplätze im öffentlichen Raum sind nicht gerade zahlreich. Die Planungsphilosophie lautet vielmehr: Der öffentliche Raum ist für die Menschen da. Wer parken will, muss dafür auf (oder meist: unter) seinem eigenen Grund und Boden sorgen oder teuer bezahlen.
Dass der MIV-Anteil im Binnenverkehr (Bei den Verkehrsbeziehungen ins Umland sieht dies anders aus, dort beträgt der MIV-Anteil 41,7%!) relativ niedrig ist, liegt zum anderen am gut ausgebauten öffentlichen Verkehrssystem. Das U-Bahn-Netz ist dicht, die Bahnen verkehren in sehr kurzen Takten (tagsüber meist alle drei Minuten!). Außerdem gibt es viele Buslinien, deren Linienverläufe allerdings noch relativ unübersichtlich sind. An der Systematisierung wird aber auch hier gearbeitet. Statt 94 soll es dann nur noch 28 Routen geben, auf denen die Busse dann aber öfter fahren sollen. Sehr erfreulich: In etlichen Stadtvierteln gibt es für die Feinerschließung kleine, oft elektrisch betriebene Quartiersbusse.
Verkehrsberuhigung durch „Superblocks“ (14)
Eine Stadt wie Barcelona, die in weiten Teilen des Stadtgebiets über ein regelmäßiges Schachbrettmuster für die Straßenführung verfügt, bietet sich eine Methode der Verkehrsberuhigung an, die man dort „Superblocks“ (spanisch: „superilla“) nennt. Für einen solchen Superblock werden bis zu neun Häuserblocks zusammengefasst. Der (Auto-) Verkehr wird dann weitgehend auf die Straßen um diesen Superblock herum verwiesen. In die Blocks selbst sind Autos nur sehr begrenzt zugelassen. Ausgenommen sind zum Beispiel die Anwohner*innen und der Lieferverkehr und natürlich Rettungsfahreuge. Die Straßen in den Superblocks sind zudem in der Regel Einbahnstraßen, auf denen eine Höchstgeschwindigkeit von 10 oder 20 Kilometer pro Stunde gilt. In den Superblocks sollen die Straßen für die Wohnbevölkerung, für die Fußgänger*innen und für die Fahrradfahrer*innen da sein. Kinder können spielen und Erwachsene draußen sitzen und Kaffee trinken. Auf diese Weise soll der private Autoverkehr in den nächsten Jahren um 20 Prozent verringert, der ohnehin schon hohe Fußverkehrsanteil um weitere zehn Prozent gesteigert werden.
Im Stadtteil Poble Nou wird dieses Konzept derzeit sehr ambitioniert und großflächig umgesetzt, und zwar mit breiter Beteiligung der Bürger*innen. Das Prinzip ist einfach: Bei zweispurigen Straßen wird eine Spur den Autos weggenommen und den Menschen wiedergegeben. Es entstehen Spielflächen, Aufenthaltsräume, Rad-Abstellplätze, sogar eine Laufbahn. Die jetzt einspurigen Fahrbahnen werden zu Einbahnstraßen, in denen in Gegenrichtung selbstverständlich das Radfahren erlaubt ist. Einfach, durchschaubar, wirksam. Derzeit befinden sich die meisten Umgestaltungen in der zweiten Phase der Bürgerbeteiligung, ehe eine endgültige bauliche Lösung umgesetzt wird. Wirklich vorbildlich!
Wer in Barcelona vor - sagen wir - zwanzig Jahren mit dem Rad unterwegs war, wurde von den Einheimischen als mehr oder minder verrückt betrachtet. Das hat sich geändert. Der Radverkehr wird jetzt gefördert, zum Beispiel mit dem gut angenommenen Leihradsystem und durch den Ausbau der Radweg-Infrastruktur. Bei einem Radverkehrsanteil von derzeit drei Prozent bleibt allerdings noch viel Luft nach oben. Auch das Radwegsystem ist an vielen Stellen noch verbesserbar: viele Radwege sind noch zu schmal, es gibt noch zu viele Radwege im Zwei-Richtungs-Verkehr und die Wegführung ist manchmal recht undurchschaubar. Aber das wissen die verantwortlichen Planer und arbeiten an entsprechenden Verbesserungen. So sollen in den nächsten Jahren 300 Kilometer neue Fahrradwege entstehen. Ziel ist es, den Radverkehrsanteil um zwei Drittel zu steigern.
Straßenbahn-Projekt liegt auf Eis (15)
Fast ein Jahrhundert lang verfügte Barcelona über ein ausgedehntes Netz an Straßenbahnlinien. Dieses Netz wurde jedoch im Zuge einer autoorientierten Stadtplanung stillgelegt. Doch schon bald nach dem Ende der letzten Linien im Jahr 1971 machte man sich über eine Wiedereinführung dieses umweltverträglichen Verkehrsmittels Gedanken. Und seit 2004 fahren moderne Trambahnen, allerdings eher in den Randbezirken und nicht dort, wo der Verkehr am dichtesten ist und die Passagierfrequenzen am höchsten wären. Deshalb sollten auf der Avinguda Diagonal, die als schräge Hauptverkehrsader das Schachbrettmuster der Straßen in Barcelona durchschneidet, zwei Straßenbahn-Gleise die Verbindung zwischen den beiden vorhandenen Linien herstellen. Platz dafür wäre genug: Die Diagonal ist rund fünfzig Meter breit und verfügt über fünf Fahrspuren in jeder Richtung. Eine sehr seltsame Koalition, bestehend aus der Auto- und Geschäfts-Lobby auf der einen Seite und den antikapitalistischen CUP-Vertreter*innen, die das Finanzierungsmodell via Public-Private-Partnership kritisierten, auf der anderen ließen das sowohl umweltverträgliche wie auch ökonomisch sinnvolle, weil sich sehr rasch amortisierende Projekt im Stadtrat vorerst scheitern.
Fazit und Ausblick
Dass die Umsetzung der vielfältigen Pläne der BeC-Stadtregierung bei den gegebenen Mehrheitsverhältnissen schwierig ist, wurde schon angesprochen. Zudem kann die tägliche Regierungsarbeit auch zu Konflikten mit der eigentlichen Basis in den sozialen Bewegungen führen. Auch dies hat die BeC schon mehrfach erfahren müssen. So in einem Tarifkonflikt mit den Beschäftigten der Verkehrsbetriebe. Und auch immer wieder bei Konflikten um Wohnungsräumungen. Beide Seiten, die Basisaktivist*innen, die auf die Realisierung ihrer Forderungen hoffen, wie auch die ehemaligen Akteure, die jetzt in Regierungsverantwortung stehen, müssen mit ihren neuen Rollen zurechtkommen und das durchaus prekäre Spannungsverhältnis austarieren. Klar dürfte sein, dass aus dem ehemaligen Miteinander kein Gegeneinander werden darf, dass Enttäuschungen (auf der einen) und Misserfolge (auf der anderen Seite), die gewiss nicht ausbleiben werden, gemeinsam aufgearbeitet werden müssen, soll der Prozess der urbanen Transformation nicht vorschnell enden. Im Gegenteil: Die neue Stadtregierung wird den „Druck der Straße“ brauchen, um den Zielen der munizipalistischen Bewegung auch gegen die Beharrungsmacht der etablierten Bürokratie und der starken Lobby-Interessen zum Erfolg zu verhelfen. Oder wie es Ada Colau kurz nach ihrem Amtsantritt selbst formuliert hat: „Es gilt das Prinzip, wir werden uns nur dann durchsetzen, wenn wir uns nicht in den Institutionen verbunkern, sondern die Politik für die Menschen öffnen.“ (16) Umso interessanter wird es auch für uns Beobachter im Ausland sein, diese spannende Entwicklung (in der vieles an die Zeit der neuen sozialen Bewegungen und die Entstehung grün-alternativer Listen im Deutschland der späten siebziger Jahre erinnert)und deren Ergebnisse zu verfolgen und zu analysieren.
Streitthema Unabhängigkeit
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den Unabhängigkeitsbestrebungen in Katalonien, die im Augenblick das beherrschende Thema sind und alle anderen politischen Probleme überlagern. Barcelona en Comú ist als Organisation weder für noch gegen die Unabhängigkeit, die Mitglieder sind – ähnlich wie die Gesamtbevölkerung – in dieser Frage geteilter Ansicht. Doch das Thema polarisiert natürlich stark. Und es lenkt ab von den vielen Sachproblemen, die es in Barcelona eigentlich zu bewältigen gäbe. Die Sachauseinandersetzungen werden durch die Nationalismus-Frage überlagert. Und so kann es zu Bündnissen und Gemeinsamkeiten kommen, die ansonsten völlig ausgeschlossen wären: zwischen linken und rechten Nationalisten etwa. Ob das der Lösung der Sachfragen dienlich ist, darf allerdings stark bezweifelt werden.
Anmerkungen
(1) Der vorliegende Beitrag entstand vor dem Hintergrund einer einwöchigen Bildungsreise Ende Mai 2018 nach Barcelona, in deren Verlauf wir Gelegenheit hatten zu Gesprächen mit etlichen Protagonisten des politischen Wandels in Barcelona. Die Eindrücke aus dieser Reise und weitere Recherchen nach unserer Rückkehr flossen in den Aufsatz ein.
(2) Vgl. zum Folgenden Raul Zelik: Im Treibsand der Institutionen: Barcelonas linke Stadtregierung (WOZ Mai 2016)
(3) Die genaue Sitzverteilung ist hier nachzulesen.
(4) Vgl. dazu ausführlich International Committee of Barcelona en Comú: How to Win back the City En Comú. Guide to Building a Citizen Municipal Platform. Barcelona 2016
(5) Die ICV selbst ist der äußerst interessante und spannende Versuch, die schon traditionelle Zersplitterung der in sich zerstrittenen katalonischen Linken wenigstens ansatzweise zu überwinden und gleichzeitig die in den vergangenen Jahren entstandenen sozialen Basisbewegungen zu integrieren. Ob dieser – für alle Seiten mühsame – Versuch erfolgreich sein wird, lässt sich heute noch nicht beurteilen. Eine knappe Zusammenfassung der Historie findet sich hier.
(6) Kate Shea Baird: Anleitung zur Wiedergewinnung der Städte. In: neues-deutschland.de, 11.01.2016
(7) Ebd.
(8) Vgl. Barcelona En Comú: Wie Eine rebellische Stadtregierung funktioniert. In: mosaik. politik neu zusammensetzen 21.12.2017
(9) Vgl. Rebellische Städte? - Interview mit Gerardo Pisarello, dem 2. Bürgermeister von Barcelona (WOZ März 2016)
(10) Vgl. zum Folgenden z.B. Till Bartels: Streit um Ferienwohnungen: So kämpft Barcelona gegen illegale Airbnb-Unterkünfte. In: stern.de
(11) Vgl. Architekturprofessor über Barcelona: „Kalt und leer im Neubauviertel“. In: TAZ, 20.12.2015
(12) Vgl. Rebellische Städte? - Interview mit Gerardo Pisarello, dem 2. Bürgermeister von Barcelona (WOZ März 2016)
(13) Vgl. zum Folgenden die sehr ausführlichen und informativen Details auf der Website Barcelonas zum Thema Mobilität: http://mobilitat.ajuntament.barcelona.cat/en (englisch!)
(14) Vgl. Superblocks in Barcelona: Autos raus! In: Deutschlandfunk Nova, 12.08.2016 und Katharina Maß: Barcelona verbannt Autos mit einem genialen Konzept aus der Innenstadt — das ist auch in Deutschland möglich, sagt ein Experte. In: Business Insider Deutschland, 20.4.2018
(15) Vgl. Andres Wysling: Kein Platz fürs Tram – Schildbürgerstreich in Barcelona. In: Neue Zürcher Zeitung, 11.4.2018
(16) Zitiert nach Conrad Lluis Martell: Der Spekulantenschreck. In: der Freitag 31/2017